Studienfahrt nach Sankt Petersburg vom 06.12.-12.12.2019

In sechs Wochen eine einwöchige Studienfahrt nach St. Petersburg organisieren, die Eltern informieren und überzeugen und nicht zuletzt Schüler*innen begeistern und vorbereiten?

 

Kein Problem“, dachten sich Frau Jesberg und Herr Karrasch, als sie das Angebot des Deutsch-Russischen-Begegnungszentrums in St. Petersburg (http://de.drb.ru) erhielten, an einer einwöchigen Bildungsreise in die alte russische Hauptstadt teilzunehmen.

 

Ermöglicht wurde diese Fahrt durch die Humanitäre Geste der Bundesrepublik Deutschland an die Russische Föderation, die anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von St. Petersburg im Januar 2019 von den beiden Außenministern Heiko Maas und Sergej Lawrow unterschrieben wurde (https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-lawrow-gemeinsame-erklaerung-leningrad/2182062).

Diese Geste soll vor allem die Begegnung von Jugendlichen beider Länder in St. Petersburg ermöglichen, um die historische Aussöhnung als Grundlage der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland voranzutreiben.

 

Aus mehr als 30 Schüler*innen wurden schließlich acht ausgewählt, die sich besonders durch ihre Leistungen, ihr Engagement und ihre Zuverlässigkeit im Vorfeld ausgezeichnet hatten, um hier besonders individuell gefördert zu werden. Ergänzt wurde die Gruppe der WSW durch fünf Schüler und Herrn Rosenkötter vom Philippinum in Marburg, um die Zusammenarbeit im Schulverbund noch weiter zu vertiefen.

 

Ziel der Fahrt war die Auseinandersetzung mit einem historischen Thema, welches bis heute nichts an seiner Aktualität verloren hat: die Blockade von Leningrad im Zweiten Weltkrieg (https://drb-ja.com/die-leningrader-blockade/). Stellvertretend steht sie für die Schrecken und die Gräueltaten des Krieges, aus denen besonders für uns Deutsche nach wie vor eine Verantwortung für die Völkerverständigung und die Wahrung des Friedens erwächst. So ging es bei dieser Fahrt nicht nur um die geschichtliche Auseinandersetzung mit der Leningrader Blockade, sondern auch um das Kennenlernen russischer Schüler*innen und auch die kulturelle Begegnung mit einem Land, über das viel berichtet wird, aber das nur wenige selbst besucht haben: Russland.

 

Zunächst stellten uns die Vertreter des DRB, Frau Tempelhagen und Frau Iudina, uns das DRB und das deutsche Leben in St. Petersburg im Wandel der Zeit vor. So besichtigten wir die Petri-Kirche, in Sowjetzeiten zu einem Schwimmbad umfunktioniert, das Kunstwerk zum Gedenken an die Geschichte der Russlanddeutschen und die entsprechende Ausstellung.

Diese ersten Impressionen und auch die inhaltliche Vorbereitung der Schüler im Vorfeld hatten die Schüler*innen von Anfang bewegt und dazu geführt, dass der Drang nach Antworten zu dem Warum?“ und Wie kann man so etwas in Zukunft verhindern? deutlich zu spüren war. Dies zeigte sich im weiteren Verlauf auch beim interaktiven Workshop mit der Museologin Natalja Jansson. Zahlreiche Text- und Bildquellen wurden ansprechend präsentiert und dienten auch als Grundlage in der selbstständigen Arbeitsphase zu „Menschen, Sport, Kultur: Leben in Zeiten der Blockade“. In gemischten Gruppen (das Projekt fand als Kooperation der Verbundschulen WSW und Gymnasium Philippinum statt) vertieften sich die Jugendlichen in den Materialien und erweiterten ihr Wissen. Veranschaulicht und intensiviert wurde dieser Tag vom Besuch im Staatlichen Gedenkmuseum für die Belagerung und Verteidigung Leningrads.

Kulturell rundeten wir diesen Tag im Mariinskij Theater ab, wo wir eine Ballett-Aufführung von P. Tschaikowski „der Nussknacker“ genossen.

 

Emotional wurde es am nächsten Tag, als wir uns im DRB mit Überlebenden der Blockade zu Zeitzeugengesprächen trafen. Ganz unterschiedlich, aber immer bewegend, erzählten die rüstigen Senioren von ihren Erlebnisse als Kinder in der belagerten Stadt. Diese waren geprägt von Hunger, Angst und dem Verlust geliebter Menschen. Dabei erstaunte uns aber besonders, dass die Überlebenden trotz dieser schrecklichen Erfahrungen uns Deutschen positiv und versöhnlich begegnen und stets betonten, wie wichtig Frieden und Aussöhnung für alle Menschen sind. Diese Erfahrungen hatten wir bereits am Morgen in der „Peterschule“ gemacht, die uns freundlich empfangen hatte. Schnell lernten sich die Schüler*innen kennen, tauschten sich aus und stellten fest, dass man sich so gut verstand, dass man sich abends gleich zum Essen verabredete. In Erinnerung bleiben werden uns besonders die sehr guten Deutschkenntnisse von Schülern und Lehrern, die Präsenz der deutschen Sprache im Schulalltag (Raumnamen, Schulgestaltung) und das hervorragende musikalische Empfangsprogramm mit einem jungen Schüler, der Rachmaninow am Klavier zauberte, und einem älteren Schüler, der das Akkordeon überragend beherrschte. Angedacht ist hier eine weitere Kooperation und ein Schüleraustausch in Zukunft, an dem von beiden Seiten großes Interesse besteht.

 

Es durfte bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte auch der Gegenwartsbezug nicht fehlen und so diskutierten wir die aktuelle Bedeutung der deutsch-russischen Beziehungen im Deutschen Generalkonsulat am Dienstag. Hier wurden vor allem die starken kulturellen, historischen und wirtschaftlichen Verflechtungen, aber auch aktuelle politische Differenzen und Schwierigkeiten im deutsch-russischen Verhältnis hervorgehoben und besprochen.

Bei schönstem Petersburger Wetter besuchten wir dann im Anschluss während einer interaktiven Stadtrallye wichtige Blockadeorte, beantworteten Fragen und fanden auch neue Anekdoten heraus.

Der Tag endete mit einer Reflexion in Zusammenarbeit mit dem DRB und vielen tollen Erinnerungen, die wir gegenseitig austauschten.

 

Am Mittwoch statteten wir der Deutschen Schule St. Petersburg (die Schule beim Deutschen Generalkonsulat) einen Besuch ab. Freundlich wurden wir von der Schulleiterin Frau Stapel empfangen, die Herr Karrasch schon während seiner Moskauer Zeit kennengelernt hatte. Interessiert wurden unsere Schüler*innen durch die Schule geführt, um zu erfahren, dass deutsche Auslandsschulen häufig kleiner sind als inländische Schulen, aber vor allem Begegnungsorte von verschiedenen Kulturen sind und eine wichtige Brücke an der Schnittstelle zwischen Deutschland und dem Sitzland (hier Russland) darstellen.

 

Anschließend konnten wir uns bei der einer Führung durch die Eremitage einen Eindruck von der kulturellen Vielfalt und Geschichte machen. Abends fuhren wir zum großen Piskarjowskoje-Friedhof, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer der Blockade Leningrads. Bei Dunkelheit und bitterkalten Temperaturen gedachten wir den fast 500.000 Toten, die dort begraben sind, und legten Blumen nieder.

 

Am nächsten Tag traten wir erschöpft, aber voller neuer Gedanken, Erfahrungen und Eindrücken die Heimreise an.

 

Abschließend lässt sich sagen, dass die meisten Schülerinnen und Schüler mit nur wenig Vorwissen nach Russland kamen, doch die Geschichte Leningrads und deren Einwohner haben von Anfang an jeden bewegt. Viele Ereignisse wirkten sehr prägend und haben emotionale Spuren hinterlassen.

Es bleibt der Schrecken der Vergangenheit, aber vor allem die unglaubliche Toleranz und Akzeptanz, die uns von jung und alt in Russland entgegengebracht wurde. Dies hatten wir so nicht erwartet und es hat uns darin bestärkt, sich der historischen Verantwortung zu stellen, sich für die Aussöhnung der Völker und den Frieden einzusetzen. Auch die Bedeutung der Toleranz gegenüber fremden Kulturen, Mentalitäten und Denkweisen werden wir als wichtige Grundsätze weiter verfolgen.

 

Ein besonderer Dank an Herrn Rosenkötter vom Philippinum, Frau Jesberg und Herrn Karrasch r die Initiierung, Planung und Begleitung dieser tollen Fahrt. Ebenfalls bedanken wir uns für die finanzielle Unterstützung des Fördervereins der WSW und des DRB in St. Petersburg.

Wir hoffen, dass ein solch tolles Projekt dauerhaft etabliert werden kann, um mehr Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, bei einer einmaligen und außergewöhnlichen Fahrt mitzumachen und sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

 

Im Namen der Projektteilnehmer Leonard Forsch, Clara Gawantka, Roland Karrasch

 

Fotos: Cornelia Jesberg